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Rhetorik und Debattenkultur

Rhetorik und Debattenkultur

Rhetorik und Ethik, Berliner Mauer
Rhetorik und Ethik

Mit Rhetorik und Debattenkultur setzt sich in diesem Beitrag der Politikwissenschaftler Dr. Sebastian Prinz auseinander – indem er einen Rückblick auf die Rhetorik- und Redenschreibertagungen 2017 gibt. Eine fulminante Rede von Caroline Waldeck, Redenschreiberin der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, hebt er dabei besonders hervor.

Rhetorik und Debattenkultur im Zeichen des Populismus

Zu den Rhetorik- und Redenschreibertagungen 2017

Für die überschaubare „Community“ der Rhetoriker und Redenschreiber in Deutschland gibt es im Jahresverlauf drei gesetzte Termine: Die Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche, die Redenschreiber-Jahrestagung der Deutschen Presseakademie und das jährliche Hauptstadt-Gespräch des Verbands der Redenschreiber deutscher Sprache. In diesem Jahr stand jede dieser Veranstaltungen im Zeichen des Komplexes des Populismus und des „Postfaktischen“ (nicht umsonst von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum „Wort des Jahres“ 2016 gewählt). Rhetoriker und Redenschreiber reflektieren diese Phänomene und suchen nach Wegen, damit umzugehen. Dabei geht es um Fragen der Debattenkultur, der Meinungsfreiheit und ihrer Grenzen, der Rhetorik des Populismus, sogenannter Hate-Speech sowie der Verantwortung von Rednern und Redenschreibern für die Demokratie – sowohl bezogen auf Deutschland als auch international.

Die Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche werden jährlich gemeinsam von der Universität Salzburg und vom Seminar für Rhetorik der Universität Tübingen, dem einzigen Rhetorik-Seminar an einer bundesdeutschen Universität, ausgerichtet. Ebenso wie die Redenschreiber-Tagung der Presseakademie finden sie in Kooperation mit dem Redenschreiber-Verband statt. Bei den Rhetorikgesprächen 2017 analysierte Olaf Kramer, Professor für Rhetorik an der Universität Tübingen, die Inaugurationsrede Donald Trumps. Während traditionell US-amerikanische Präsidenten den Staatsakt der Inauguration nutzen, um nach den Verletzungen des Wahlkampfs staatsmännisch an das Gemeinschaftsgefühl aller Bürger zu appellieren, blieb Trump unversöhnlich, kompromisslos und im Angriffs-Modus. Wie im Wahlkampf, setzte er auch in dieser Rede insbesondere Übertreibungen und Antithesen ein. So stellte er „die Elite“ „dem Volk“ gegenüber. Trump erklärte, dieser Amtswechsel sei nicht einfach einer von einer Regierung zur anderen, sondern die Rückgabe der Macht „von Washington“ an das amerikanische Volk. Der Subtext, so Kramer, sei das In-Abrede-Stellen der Legitimität vorheriger Wahlen. Kramer sprach von einem Übergang von deliberativer zu deklarativer Politik. Dabei solle man nicht annehmen, dass dahinter kein Programm steht: Es gehe – in Anwendung eines ursprünglich linken Modells – um Dekonstruktion. Stichwortgeber dieser Agenda seien insbesondere Trumps Wahlkampf-Unterstützer und Präsidenten-Berater Stephen Bannon und die sogenannte Alt-Right-Bewegung. Mit Isa Fünfhausen (Universität Tübingen) widmete sich bei den Rhetorikgesprächen eine weitere Referentin Reden Trumps. Fünfhausen untersuchte Wahlkampf-Reden des späteren US-Präsidenten. Dieser habe offensiv und radikal rhetorische Mittel der Irritation und Verunsicherung genutzt. Dabei habe er sowohl politische Gegner als auch ganze Bevölkerungsgruppen attackiert, etwa „das Establishment“ oder mexikanische Einwanderer. Vor den Rhetorikgesprächen hatte Gyburg Uhlmann, Professorin für Altphilologie an der Freien Universität Berlin, im Mai 2017 in einem Vortrag in der Berliner Urania Trumps Reden am Maßstab antiker Rhetorik gemessen. In ihrem Vortrag mit dem Titel „Rhetorik – die Kunst der Rede in den Zeiten des Postfaktischen“ machte sie bei Trump eine demagogische Strategie mit den Elementen Personalisierung, Simplifizierung und Emotionalisierung aus. Uhlmann bezeichnete das als einen postfaktischen Sophismus des 21. Jahrhunderts. Mit einer solchen Rhetorik würden Begründungszusammenhänge ausgeschaltet. Das trage zur Entstehung autoritärer Systeme bei.

Bahdana Shkliar (Universität Tübingen) stellte bei den Rhetorikgesprächen ihr Dissertationsprojekt über Hassreden im deutsch-russischen Vergleich vor. Darin vergleicht sie Rhetorik und Botschaften von PEgIdA und AfD etwa mit denen des russischen Politikers Wladimir Schirinowski. Zwar äußerten sich russische Rechtsextremisten und -populisten aggressiver und stünden offen zu ihrem Haß, doch seien die Mechanismen ähnlich. Für Aufstieg, Stabilisierung, Vernetzung und gegenseitige Bestärkung zuvor ignorierter, marginalisierter, isolierter oder stigmatisierter Personen und Organisationen spielten die Verbindung von sozialen Medien mit – auch über diese verbreiteten – öffentlichen Reden eine entscheidende Rolle. Themen und rhetorische Mittel seien in beiden Ländern Unzufriedenheit, Angst, Vereinfachung, Emotionalisierung, Polarisierung, Diskriminierung sowie Identifizierung von Sündenböcken und Feindbildern.

Höhepunkt der Rhetorikgespräche 2017 war die Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert beim Festakt anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Semainars für Rhetorik. Das Seminar, das jährlich die Auszeichnung „Rede des Jahres“ verleiht, hat mit Lammert denjenigen Redner eingeladen, den es selbst zum Redner des Jahres 2016 gekürt hatte. Diese Auszeichnung hatte Lammert für seine Rede zum Tag der Deutschen Einheit in der Dresdner Semperoper erhalten. Lammerts Dresdner Rede stand im Kontrast zum Spießrutenlauf, dem Gäste durch „Wutbürger“ ausgesetzt waren. In seiner Rede war Lammert auch spontan auf diese Schmähungen eingegangen und hatte gemahnt: Wer „das Abendland gegen tatsächliche und vermeintliche Bedrohungen verteidigen will, muss seinerseits in dieser Auseinandersetzung den Mindestansprüchen der westlichen Zivilisation genügen: Respekt und Toleranz üben und die Freiheit der Meinung, der Rede, der Religion wahren und den Rechtsstaat achten.“ – Für solche Äußerungen nannte der frühere DDR-Dissident Wolf Biermann Lammert unlängst „das Gegenteil eines Populisten“.

Der Deutsche Bundestag – Ort von Debattenkultur? Oder verhärteter Fronten?
Abb.: Der Deutsche Bundestag – Ort von Debattenkultur? Oder verhärteter Fronten?

Bei der Tagung der Presseakademie hielt Caroline Waldeck, Redenschreiberin der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und ehemalige Vizepräsidentin des Redenschreiber-Verbands, eine fulminante Rede zum Thema „Populisten Paroli bieten: Reden(schreiben) in postfaktischen Zeiten.“ Diese Rede einer Redenschreiberin war ein in Form wie Inhalt durchkomponiertes Meisterstück. Als eine im besten Sinne staatstragende Rede hat diese es ihrerseits verdient, zur Rede des Jahres 2017 gekürt zu werden (die Rede ist abrufbar unter: http://www.carta.info/84931/populisten-paroli-bieten/). Waldeck sucht die Gründe für wachsenden Populismus nicht nur bei Populisten, sondern sieht darin auch eine (Über-)Reaktion auf die heute verbreitete Art politischer Kommunikation. Sie fragte zunächst, wo angesichts der Krisen der vergangenen Jahre eine große, mitreißende Rede bleibt: „Finanzmarktkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise, Demokratiekrise – und weit und breit keine „Blut, Schweiß und Tränen-Rede“, kein „Ich habe einen Traum“, kein „Völker der Welt, schaut auf diese Stadt“. Solchen Sternstunden der Rhetorik stellte Waldeck die „oft floskelhaften Verlautbarungen“ demokratischer Redner gegenüber, die die Zuhörerschaft in einen „Zustand zwischen lethargischer Gleichgültigkeit und latenter Gereiztheit“ versetzten. Im Schatten solcher Phrasen und Plattitüden könnten populistische Parolen blühen. Zwar müsse man kein Verständnis für Populismus aufbringen, doch solle man sich zumindest um ein gewisses Maß an Verstehen bemühen und Verärgerung ernst nehmen, um populistischen Parolen Argumente entgegensetzen zu können. Die Antwort demokratischer Redner auf Populismus solle sich nicht in Beschwichtigung erschöpfen und teilweise berechtigte Kritik ignorieren, sondern diese aufgreifen und sich argumentativ mit ihr auseinandersetzen. In der Praxis sei das nicht immer der Fall, auch weil teilweise ein Imperativ politischer Korrektheit Kritik an fremden Kulturen, Lebensweisen und Weltanschauungen in die Nähe des Rassismus und der Islamophobie gerückt habe: „Der inflationäre Gebrauch von Nazi-Vergleichen und Rassismus-Vorwürfen verhärtet die Fronten, verhindert eine demokratische Auseinandersetzung mit nun mal vorhandenen Ängsten, liefert der populistischen Erzählung von der unterdrückten Stimme des Volkes neue Munition und verrät in der Immunisierung gegen Kritik eben jene demokratischen Ideale, die zu verteidigen unsere Aufgabe ist.“

Antje Hermenau, ehemalige Bundestagsabgeordnete (früher Bündnis 90/Grüne) und heutige Vizepräsidentin des Redenschreiber-Verbands, schloss inhaltlich an die Rede Waldecks an. Sie sprach zum Thema „Debattenkultur. Die Rolle von Respekt in der inhaltlichen Auseinandersetzung.“ Auch Hermenau sah Political Correctness als Problem, das zu „Tabuisierung der Kritik am Verhalten einzelner oder ganzer Minderheiten“ insbesondere in der Zuwanderungsdebatte führe. Hermenau plädierte dafür, emotional entspannter mit anderen Meinungen umzugehen und sie auszuhalten.

Ähnlich wie Hermenau äußerte sich die Präsidentin des Redenschreiber-Verbands Jacqueline Schäfer bei dessen Hauptstadt-Gespräch. Ein besonderes Anliegen des Verbands ist schon seit einigen Jahren die Debattenkultur. Das Engagement des Verbands für Debattenkultur hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Vorjahr als Rednerin bei dessen Jahresempfang auch unter Bezugnahme auf die Herausforderungen durch Populismus gewürdigt. Grütters hatte erklärt, der Redenschreiber-Verband verstehe sich als Lobby demokratischer Rede- und Debattenkultur, was „in Zeiten, die eben diese Kultur auf eine harte Bewährungsprobe stellen, wichtiger denn je“ sei. Verbands-Präsidentin Schäfer forderte in diesem Jahr eine „Debattenkultur, die hart ist in der Sache, aber respektvoll im Umgang. Die Denkanstöße gibt und Schluss macht mit weichgespülter Langeweile und aggressiven Auswüchsen. Meinungsstreit lebt nicht allein von Angriff, sondern auch vom Zuhören und Nachfragen – kurz: von der Bereitschaft, sich mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen, ohne diese gleich mit Etiketten zu versehen und abzuwerten.“  Eine Sprachpolizei dürfe es nicht geben. In einem Interview, das der „Deutschlandfunk Kultur“ am Tag des Hauptstadt-Gesprächs mit Schäfer geführt hat, ergänzte sie: „Deutschland ist ein Land des Entweder-Oder: Entweder Konsenssauce oder hasserfüllte Auseinandersetzung. Was wir wieder lernen müssen, ist Anerkennung der anderen Meinung ohne Aufgabe der eigenen Haltung oder Etikettierung des Gegners, Streit in der Sache ohne Schläge unter die Gürtellinie und Zutrauen in demokratische Strukturen.“

Hauptredner des Hauptstadt-Gesprächs war der frühere Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger (früher Bündnis 90/Grüne, heute CDU), der heute Chefredakteur des Magazins „The European“ ist. Metzger sprach über „Mut zum Meinungsstreit“. In seiner Rede knüpfte er nahtlos an die Linie Schäfers an: „Wenn Demokraten kontroversen Debatten aus dem Weg gehen, dann sucht sich der Souverän irgendwann ein Ventil und wählt Protest. Dann nützt alle Tabuisierung und Stigmatisierung nichts mehr.“ Im Ruf von Bundesminister Heiko Maaß nach einer „Wahrheitspolizei“ sah Metzger Parallelen zu George Orwell. Eine offen ausgetragene Streit- und Debattenkultur sei, so Metzger, ein „Wesensmerkmal einer demokratischen und pluralen Gesellschaft. Mediale Gleichschaltung und verordnetes Denken sind Kennzeichen von Diktaturen. Wer andere Meinungen nicht ertragen will und zu Verbotsmethoden greift, legt die Axt an die Grundpfeiler der Demokratie. Dass nicht nur rechte, sondern auch linke Protagonisten gern andere Meinungen stigmatisieren und für alles kämpfen, nur nicht für die Freiheit der Andersdenkenden, hat die Geschichte längst belegt.“

 

Über den Autor:

Dr. Sebastian Prinz, Politikwissenschaftler und Historiker, ist Referent im Erzbischöflichen Ordinariat Berlin.

 

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