Als Rhetorik verpacktes Phrasendreschen
Als Rhetorik verpacktes Phrasendreschen – Gift für Demokratie und Soziale Marktwirtschaft: Weil austauschbare Worthülsen weder für politische Statements geeignet sind – noch für das Positionieren von Produkten oder Unternehmen …
Als Rhetorik verpacktes Phrasendreschen – Gift für Demokratie und Soziale Marktwirtschaft
„Ich bin optimistisch, dass der Finanzplatz relativ sogar an Bedeutung gewinnen kann. Doch wir werden auch neue Namen und Konsolidierungsprozesse sehen. In der Branche gibt es eine enorme Umwälzung, an der man teilnehmen muss, indem man neue Wege geht.“ So äußerte sich der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch in einem Interview zum Thema Finanzplatz Frankfurt1). Allein dieses wahllos herausgepickte Statement verdeutlicht: Kommunikation kleidet sich oft bequem und beliebig. Typisch deutsch? Wie die Windjacke?
Der ehrbare Kaufmann fördert die Weiterentwicklung unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung durch sein gutes Vorbild – so heißt es in den Leitlinien des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI). Sind aber aalglatte Konjunktive und Inhaltsleere nicht Gift für Demokratie und Wettbewerb? Sie nämlich sind weder für das Formulieren echter Standpunkte geeignet – noch für das Positionieren von Produkten oder Unternehmen. Eine Binsenweisheit? Der real existierende Sprachsozialismus sieht anders aus. Neben Worthülsen und Konjunktiven verbreiten branchenübergreifend Kriegs- und Nautikmetaphern, gepaart mit seltsamem Denglisch, anstatt Reibung nur eines: großes Gähnen. Das allgemeine Jammern über die Austauschbarkeit von Produkten und politischen Statements erscheint mit Blick auf das allüberall zu hörende als Rhetorik verpackte Phrasendreschen zumindest seltsam.
Der Sprechwissenschaftler Hellmut Geißner kritisierte über Jahrzehnte hinweg – bis zu seinem Tod 2012 – hiesige Gesprächsgepflogenheiten und als Rhetorik verpacktes Phrasendreschen. Eine seiner Begründungen: dass mündliche Kommunikation hierzulande kaum gelehrt werde2). Es mag weitere Gründe geben, die zu diskutieren lohnte – Fakt ist: Bereits 1972 beanstandete Die Zeit das „Staccato“ deutscher Politiker3). 1989 empörte sich der Journalist Rudolf Walter Leonhardt, Diskussionen mit deutschen Politikern seien das Unzulänglichste, was das deutsche Fernsehen zu bieten habe4). Und 2011 verdeutlichte die Studie „Sprichst du Politik?“ von der Friedrich-Ebert-Stiftung5), wie abschreckend Gebaren und Kommunikation deutscher Politiker auf Jugendliche wirkt. Doch ist allgemeines Politiker– Bashing – wie einst von Roger Willemsen6) – wohlfeil. Denn das Problem ist laut Geißner ein tief greifendes, gesamtgesellschaftliches. Es ist zudem Ursprung für Institutionenskepsis und eines heimlichen Zeitvertreibs in vielen Konferenzräumen: „Schnittstelle“, „Meilenstein“, „Begeisterung“ – „Bingo!“
Weniger Worte – dafür mehr Inhalt
Seit Jahrzehnten nun – in Ermangelung (hoch-)schulischer Angebote – versuchen Experten aller Couleur, Deutschland das Sprechen beizubringen. In Volkshochschulen, Unternehmen oder im Rahmen von Coachings. Mit Ansätzen, die so bunt sind wie das Leben in Kreuzberg. Doch sei die Frage gestattet: Was hat es gebracht? Im Internet können wir Sätze hören, wie: „Hi, ich bin Jenny. Make-up-Artist. Du willst angesagt sein? Lass uns deinen neuen Look konzipieren.“ Lösen Sätze wie diese aus Videoblogger-Mund Befremden aus? Dann sollte ebenso konstatiert werden: Solche Sätze sind substanzlos – dafür aufgebrezelt – wie jene eines Roland Koch oder einer Vorstandsrede, gehalten auf einer x-beliebigen Hauptversammlung. Aufgetakelte Sinnvakuen sind, wie gesehen, keine Zeitgeisterscheinung allein unserer Tage. Aber eventuell auch Ergebnis von auf puren Erfolg ausgerichtetes Überreden, das in vielen Vertriebs- und Verhandlungsseminaren gelehrt wird. Nach dem Motto: Manipulieren, aber richtig. Ist das aber im Sinne Geißners? Der schrieb, Gespräche würden nicht mit blendenden Formulierungen, schlüssigen Argumenten usw. beginnen, sondern mit fragen und fragen lassen. „Damit also, daß die Partner zugeben, daß sie etwas nicht wissen.“7) Gleichwohl: Wer hat Zeit zum Zuhören? Vor allem mit Vertriebszielen im Nacken und Motivationsweisheiten eines „Erfolgscoaches“ im Ohr. Greift jedoch Gesprächsunfähigkeit (weil gemeinsames Reden nie erlernt) in die prall gefüllte rhetorische Trickkiste, werden aus Äußerungen wahlweise verbaler Tand – oder Überredungsversuche, die das Gegenüber in unangemessenen Zugzwang bringen. Gern mithilfe von Suggestivfragen, sozialem Druck, Zeitdruck oder sogenanntem Positiven Denken, das persönliches Wollen kennt – aber keine sozialen Einflüsse, Leistungsgrenzen oder Handicaps.
Die Rhetoriker Gert Ueding und Bernd Steinbrink unterstreichen die Notwendigkeit der Toleranz von Rednern untereinander: „So wenig der ‚Sieger‘ die ganze Wahrheit für sich reklamieren kann, so wenig fällt dem ‚Verlierer‘ die Last der ganzen Unwahrheit zu.“ 8) In diesem Sinne liegt es in der Verantwortung eines jeden Unternehmers, welche Art von Vorbild er sein will. Und welche Art von Kommunikations- oder Vertriebstrainings er Mitarbeitern angedeihen lässt. Er entscheidet, ob sein Unternehmen manipuliert oder informiert. Fatigiert oder sich positioniert. Schließlich: ob er Mündlichkeit oder Mündigkeit, unsere freiheitliche Grundordnung konterkarieren oder fördern möchte. So wie Joe Kaeser, der – adressiert an Alice Weidel – mit einem knackigen Tweet Stellung bezog: „Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel.“ 9) Mit Blick auf diesen Satz und die ansonsten blühenden Phrasenlandschaften bleibt der Wunsch: Endlich weniger Worte – dafür mehr Inhalt.
Sie wollen aus ermüdenden Kommunikationsmustern ausbrechen? Als Rhetorik verpacktes Phrasendreschen vermeiden? Wie wäre es mit einem Seminar zum Thema Redenschreiben?
Quellenverzeichnis
1) Koch, Roland (2016): Frankfurt kann sogar an Bedeutung gewinnen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Stand: 25.12.2016. http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/aufsichtsratsvorsitzender-roland-koch-im-interview-14586932.html (Letzter Zugriff: 25.04.2018).
2) Geißner, Hellmut (1982): Sprecherziehung. Didaktik und Methodik der mündlichen Kommunikation. Königstein/Ts.: Scriptor Verlag GmbH, S. 6-10.
3) V. (1972): Das deutsche Staccato. In: Die Zeit, 19.05.1972. https://www.zeit.de/1972/20/jm-m-das-deutsche-staccato (Letzter Zugriff: 25.04.2018).
4) Leonhardt, Rudolf Walter (1989): Das Gespräch der Sprachlosen: Zur Diskussionskultur im Fernsehen. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Politische Gesprächskultur im Fernsehen. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 25.
5) Arnold, Nina / Fackelmann, Bettina / Graffius, Michael / Krüger, Frank / Talaska, Stefanie / Weißenfels, Tobias (2011): Sprichst du Politik? Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.
6) Willemsen, Roger (2014): Das Hohe Haus. Ein Jahr im Parlament. Frankfurt/M.: S. Fischer Verlag.
7) Geißner, Hellmut (1982): Sprecherziehung. Didaktik und Methodik der mündlichen Kommunikation. Königstein/Ts.: Scriptor Verlag GmbH, S. 99.
8) Ueding, Gert / Steinbrink, Bernd (2011): Grundriß der Rhetorik. Geschichte. Technik. Methode. 5. Aufl. Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, S. 5.
9) Kaeser, Joe (2018): Kurznachricht auf Twitter vom 16. Mai 2018, 12:36 Uhr.