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Redenschreiben – Grundhaltung wichtiger als rhetorischer Ornat

Redenschreiben – Grundhaltung wichtiger als rhetorischer Ornat

Rhetorik und Ethik, Berliner Mauer
Rhetorik und Ethik

Politik hat ein Vermittlungsproblem. Dass viele Menschen nicht mehr zuhören oder extrem wählen, hängt nicht nur mit politischen Inhalten zusammen. Sondern auch mit der Unfähigkeit vieler Politiker, aus Sprechgewohnheiten auszubrechen. Und mit der in vielen Reden zum Ausdruck gebrachten Überzeugung, es gäbe keine Alternative zur eigenen Meinung. Redenschreiben und mitreißende Reden haben vor allem mit innerer Haltung und einem offenen Ohr für Gegenargumente zu tun. Und nichts mit schön aneinandergereihten rhetorischen Stilmitteln.

Redenschreiben – gegen das große Gähnen

„Die Sache ist komplex. Ich werde mich aber zu gegebener Zeit mit ihr auseinandersetzen. Um Ihnen zeitnah Antworten zu geben. Leider geht es nicht anders.“ Läge man mit einem offenen Bruch auf einer Patientenliege, führten solche Sätze einer Ärztin durchaus zu Missmut. Quälte einen eigentlich nur ein leichtes Ziehen in der Brust, verwandelten diplomatische Phrasen das Zipperlein schnell in eine (gedankliche) Katastrophe, die den Sprung in die Spree nahelegte. Oder zumindest den Gang zum Homöopathen um die Ecke, weil der eventuell Rat wüsste.

Ähnlich verhält es sich mit den Auswirkungen politischer Kommunikation: Nach Jahrzehnten staatsmännisch vorgetragener Beliebigkeit ergeben sich Wählerinnen und Wähler antriebslos ihrem Schicksal oder sie konsultieren hysterisch Politikhochstapler. Ob Loriot 1972 in der Rolle des Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Stiegler, über Jahrzehnte hinweg der Sprechwissenschaftler Hellmut Geißner oder Roger Willemsen in seinem von vielen Spitzenpolitikern und Feuilletons verrissenen Buch „Das Hohe Haus“: Seit Langem wird politisches Phrasenbingo aus unterschiedlichen Richtungen – leider folgenlos – kritisiert.

Redenschreiben – die drei größten Fehler

Dieses Phrasenbingo beruht auf drei weit verbreiteten Kunstfehlern des Redenschreibens beziehungsweise der Redekonzeption: als Vernunft verkaufte Alternativlosigkeit (Predigt anstatt politische Überzeugungsrede), Ziellosigkeit (viel hilft viel anstatt Präzision) sowie Strukturbeliebigkeit (Eintönigkeit anstatt prägnantes Storytelling).

Selbstverständlich könnten auch ewig gleiche Wörter und Satzkonstruktionen als Fehler beim Redenschreiben und als Basis für Habituationseffekte (man könnte auch Langeweile sagen) genannt werden. Oder Satzlängen, Schachtelsätze und Termini als Gründe dafür, dass viele Menschen unter einem Polit-Tinnitus leiden. Doch stellen missachtete Verständlichkeitsfaktoren nur hörbare Symptome eines chronischen Leidens der politischen Debatte in Deutschland dar: die von ganz links bis ganz rechts positivistisch verpackte Nabelschau. Ich rede, also bin ich. Du hörst mich – also habe ich recht. Wobei rechtes Geschwätz als genauso unrhetorisch bezeichnet werden muss wie linke Hypersensibilität. Agitation sich genauso demokratiegefährdend darstellt wie vorauseilendes Missverstehen und bewusstes Missinterpretieren des politischen Gegners, wie von nahezu allen Spitzenpolitikern in Polit-Talkshows so gekonnt vorgeführt.

Die insbesondere von Astrid Séville scharf kritisierte TINA-Rhetorik¹ (There is no alternative) versucht das zu bekämpfen, worauf deren Sprecherinnen und Sprecher angeblich so stolz sind: Meinungsfreiheit. Die TINA-Botschaft, ob explizit und agitativ gebrüllt oder implizit durch Habitus ausgedrückt, negiert auf unanständige Weise die in der Wissenschaft selbstverständlichen Prinzipien der Falsifizierbarkeit von Thesen und der Nichtexistenz der einen Wahrheit. Demokratiegefährdend ist sie aber auch wegen ihres bei Wählern Gähnen erzeugenden Charakters. Weil sie sich allein mit dialogischen Elementen (z. B. direkte Anrede, Gedankenspiele, Fragen) naturgemäß schwertun muss. Wie sollte auch der Redner mit einem oppositionellen Publikum in einen echten Dialog treten, wenn er der Überzeugung ist, über das einzig wirksame Medikament gegen ein gesellschaftliches Problem zu verfügen? Warum sollte er beim Redenschreiben besondere Kreativität und Sorgfalt walten lassen, wenn er sich selbst in keinem Meinungswettbewerb sieht – sondern ausschließlich sich selbst (und seine Fraktion) als vernünftig ansieht?

Konzeptionelle Fehler beim Redenschreiben ziehen oft großes Gähnen nach sich.
Abb.: Politische Reden erzeugen meist nur großes Gähnen.

So erklärt sich, warum politische Reden und Statements zu oft nicht wie Diagnosen, Dialoge oder dialektisches Argumentieren klingen. Sondern gleich wie moralisierende Grabreden wirken. Wie Predigten bisweilen, die journalistisches Nachfragen als Naivität Unwissender diskreditieren – gern nonverbal oder durch Antwortverweigerung. Predigten, die Skepsis mit Ungeduld und aggressiver Semantik begegnen. Predigten auch, deren Aggressivität eigene Fehler nicht einzugestehen vermögen. TINA-Rhetorik ist der richtige Ansatz, um vor allem ein Ziel zu verfolgen: Dass Wählerinnen und Wähler „Bätschi!“ zurückrufend davonlaufen – direkt in die Arme jener, die ihr eindimensionales Denken überhaupt nicht mehr zu vertuschen suchen, sondern offen zur Schau stellen. Was zwar den Reiz des Neuen ausmacht. Aber der Demokratie umso mehr schadet.

Wählerinnen und Wähler wissen: es gibt immer eine Alternative. Und sie wissen: Jede Sichtweise ist gerade so vernünftig oder unvernünftig wie jede andere auch. Jeder Sachverhalt weist bei näherer Betrachtung ebenso viele „vernünftige“ Argumente für wie gegen etwas auf – was Politik zu einem immerwährenden Experiment macht. Aber von ihren Akteuren stets negiert wird. Überzeugend hingegen wären in politischen Reden Vorschläge und Kompromisse, die bildreich beworben werden – und hörbar durch Zuhören zustande gekommen sind. Ganz banal beispielsweise mit dem unüblichen Dank an den politischen Gegner, der ehrlich gemeinten Auseinandersetzung mit dessen Gegenargumenten oder deren sachlich-fachliche Dekonstruktion – ohne Triumph- und Besserwissgebaren.

Zum Thema Kommunikationsziel sollte Ursula von der Leyen hinzugezogen werden, die in „Berlin direkt“ ausführte: „Aber wir haben auch gezeigt, zum Beispiel in den letzten vier Jahren, dass wir uns Spielräume erarbeiten können – und da fragen die Menschen ja zu Recht: ‚Wo wollt ihr dann eure Schwerpunkte setzen, wenn ihr diese Spielräume nutzen könnt?‘ Und das ist der Schwerpunkt Familie, Gerechtigkeitslücke in der Rente schließen, Bildung, Innovation, sichere Arbeit – da setzen wir unsere Schwerpunkte.“² Diese beliebig aus den Medien herausgepickten Phrasen belegen, zu welcher Inhaltsleere Aussagen verdammt sind, fehlen ihnen Ziel und Adressaten. Das Ergebnis typischer politischer Reden, die partout nichts auslassen wollen: Reden über alles und nichts. „Schulden senken ist oberstes Ziel“ verwandelt sich in ein oberstes Ziel mit fünf Schwerpunkten. Womit das physikalische Prinzip eines einzigen Schwerpunkts ganz nebenbei außer Kraft gesetzt wird. Und: Der Sinn eines Beispiels – etwas zu veranschaulichen – mutiert zu einem abstrakten Zeitraum von vier Jahren. Einem Naturgesetz ähnlich folgen Beliebigkeit, Abstraktion, Konjunktive, Relativierungen und schiefe sprachliche Bilder gedanklicher Ziellosigkeit. Wobei Metaphernunsicherheit – beim Redenschreiben beginnend – besonders ärgerlich erscheint, weil sie im Moment des Vortrags unfreiwillig komisch wirkt und Zuhörer von der Botschaft ablenkt. So wie Annegret Kramp-Karrenbauers Feststellung: „Wir sind dann stark, wenn wir alle diese Menschen in die Mitte nehmen und alle unsere Wurzeln bespielen.“³ Oder wie Sätze von Martin Schulz: „Wir sind im Europäischen Parlament heute zusammen, um des Supergaus von Tschernobyl vor 30 Jahren zu gedenken. Am 26. April 1986 kam es in diesem Kernkraftwerk zur totalen Kernschmelze.“4 Nimmt man sich die Zeit, den exakten Wortlaut politischer Reden zu untersuchen, regen unzählige schiefe Bilder, falsche Vergleiche und merkwürdige Super-Pleonasmen zum Nachdenken an: Woher kommt dieser parteiübergreifende Sprachschwund, wenn gleichzeitig möglichst präzise Gesetzestexte Ergebnisse politischer Arbeit darstellen sollten? Dabei können die Gratisvorstellungen des Kopfkinos zu Lehrfilmen werden – auch während des Redenschreibens oder des Redigierens von Reden: Wirkt das, was man sieht, lächerlich oder absurd – ist der Text falsch. Falsch wie Helmut Kohls „Eine gute Politik sieht über den Tellerrand des morgigen Abends.“5

Solche banalen Fehler mitdenkend erscheint es logisch, dass die politische Rede in Deutschland weit entfernt von dem ist, was man Storytelling nennen könnte. Von einer Rede also, die nicht nur aus oberflächlichen nautischen Metaphern (beliebt: Kompass, Kurs und Kapitän) besteht. Sondern aus einer einen Wendepunkt enthaltenen Narration, die eine Erkenntnis enthaltende Sub-Ebene enthält. Doch braucht es dazu sowohl Protagonisten als auch Antagonisten. Oder: Thesen und Antithesen. Schon landen wir wieder bei TINA: Existieren keine gedanklichen Alternativen – kann per se kein Wendepunkt entstehen. Erst recht keiner, der eine Synthese ermöglichte. So bleiben die meisten Reden strukturell austauschbar, mit ihren ewig gleichen Aneinanderreihungen von Informationen oder War-ist-wird-Aufbauten – die das WIRD selbstverständlich nur aus einer Perspektive betrachten. In dieser Form kann weder Prägnanz noch Originalität entstehen. Erst recht keine ehrlich gemeinte dialektische Auseinandersetzung mit einem Thema. Sondern lediglich: großes Gähnen im Publikum.

Redenschreiben – ein Fazit

Es bleibt das Fazit: Gesund ist eine politische Rede nicht aufgrund bei Redenschreibern bestellten Salben aus geschickt zusammengemischten rhetorischen Stilmitteln. Wohl aber, folgt sie einer gesunden Grundhaltung des Redners, der zwar deutlich Position beziehen muss. Aber Gegenmeinungen (außer wirklich antidemokratische) niemals verbal oder nonverbal diskreditieren sollte. Hellmut Geißner schrieb einmal, rhetorische Gespräche beginnen „nicht mit ‚blendenden Formulierungen‘, ‚schlüssigen‘ Argumenten usw., sondern mit fragen und fragen lassen; damit also, daß die Partner zugeben, daß sie etwas nicht wissen, etwas infrage stellen, aber auch sich und ihre Meinung infrage stellen lassen (…)“6 Insofern geht es beim Redenschreiben in erster Linie um Selbstreflexion und Haltung, um Mündigkeit, nicht um Mündlichkeit. Nur so entstehen tatsächlich mitreißende Reden. Und ernst zu nehmende Gedanken.

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1) Séville, Astrid (2017): There is no alternative. Politik zwischen Demokratie und Sachzwang. Frankfurt a. Main: Campus.
2) Ursula von der Leyen in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ vom 23.6.2013 auf die Frage: „Sie haben es sich mit Ihrem Programm im Grunde recht leicht gemacht: Sie versprechen allen alles. Wie glaubwürdig ist das?“
3) Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer Rede auf dem CDU-Parteitag anlässlich ihrer Bewerbung um das Amt der CDU-Generalsekretärin am 26.2.2018
4) Eröffnungsrede von Martin Schulz zur Konferenz „30 Jahre seit Tschernobyl – Zeitzeugen der Vergangenheit und Atomenergie heute“ am 7.4.2016
5) Helmut Kohl am 3.10.1976 am Abend – nach der Bundestagswahl in ARD/ZDF
6) Geißner, Hellmut (1982): Sprecherziehung. Didaktik und Methodik der mündlichen Kommunikation. Königstein/Ts.: Scriptor Verlag GmbH, S. 99.