Rhetorik und Schauspiel
Altkanzler Helmut Schmidt sagte einst: „Redner benötigen schauspielerische Fähigkeiten, und die habe ich.“ Der Zusammenhang zwischen Rhetorik und Schauspiel erscheint sinnfällig. Ist Rhetorik aber mit Schauspiel gleichzusetzen?
Rhetorik und Schauspiel – über eine komplizierte Liaison
Schon Cicero machte sich über die verschiedenen Wesenszüge von Rhetorik und Schauspiel Gedanken. Er betonte: „Dennoch dürfte niemand jungen Männern, die sich um die Redekunst bemühen, raten, ihre Anstrengung darauf zu richten, die Gestik von Schauspielern zu lernen.“ (Cicero, de or. 1, 251) Einer der wichtigsten Sprechwissenschaftler Deutschlands, Hellmut Geißner, unterschied ebenfalls scharf zwischen rhetorischer und ästhetischer Kommunikation (die u.a. das Schauspiel umfasst). (Geißner, Hellmut (1982): Sprecherziehung. Didaktik und Methodik der mündlichen Kommunikation. Königstein/Ts.: Scriptor Verlag GmbH, S. 18.)
Ob Cicero oder seriöse Rhetoriker unserer Tage: Einheitlich wird die Meinung vertreten, die Aufgabe des Schauspielers sei die Interpretation fremder Texte. Sein Ziel: die perfekte Illusion. Während die Rhetorik Menschen darin unterstütze, eigene Ideen/Standpunkte zu formulieren und eigene Texte vorzutragen. Das oft zu hörende Argument, Schauspiel helfe dabei, authentisch zu wirken, sticht nur bedingt: Heißt authentisch wirken nicht automatisch, Schauspiel hilft mit trefflicher Kulisse Unwahrheiten zu verbreiten? Die Antwort ist komplizierter als sie scheint.
Soziale Rollen bestimmen die Authentizitätsanteile des öffentlichen Auftritts
Nehmen wir jenen Pressesprecher, der vor einiger Zeit zu uns kam: Er sollte auf einer Personalversammlung eine Fusion verkünden. Mitsamt unausweichlicher Reduktion des Personals um dreißig Prozent. Den Mann berührte die Entscheidung emotional sehr. Er hatte zudem gegenüber Kollegen eine mögliche Fusion bereits scharf kritisiert. Der Vorstand hingegen war anderer Meinung: Globalisierung, Zukunft gestalten – in etwa das sollte der Pressesprecher nunmehr nach außen tragen. Motivierend. Mitreißend. Er äußerte daher zwei nachvollziehbare Wünsche: Eine perfekte Rede. Plus auf Knopfdruck schauspielerische Fähigkeiten. Damit er nach der Rede nicht selbst zu den potenziellen Arbeitslosen gehört.
Mit Situationen solcher oder ähnlicher Art wird das Team der Deutschen Rednerschule häufig konfrontiert. Ist die Lösung aber Schauspiel? In schwierigen Kommunikationssituationen – wie oben beschrieben – bleibt unter dem Strich, Teilaspekte eines Sachverhalts herauszuarbeiten, mit denen sich Redner identifizieren können. Und nicht zuletzt ein klärendes Gespräch über soziale Rollen: Wie sehr muss, kann, darf ich mich im Sinne einer Rolle verbiegen? Diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten. Weil sich jeder Mensch innerhalb eines eigenen normativen Rahmens bewegt: An welchem Punkt empfinde ich eine Divergenz zwischen eigener Meinung und öffentlichem Handeln als Lüge? Welchen Preis verlange ich für welche Rolle? In welchen Abhängigkeiten befinde ich mich? Habe ich Spaß an einer Rolle? Oder lehne ich das Prinzip von Rollenverhalten gänzlich ab?
Aus Sicht neuerer Arbeiten zum Thema ist die Forderung authentisch aufzutreten nur teilweise richtig. Entgegen den Authentizitätsmantras, die sich durch fast sämtliche Kommunikationsseminare und Ratgeberbücher ziehen. Lesenswerte Anregungen dazu stammen u. a. von Sprechwissenschaftler Stefan Wachtel oder dem Psychologen Rainer Niermeyer. Ihnen zufolge ist es wichtig zu erkennen, welche Rollen erforderlich sind – um diese professionell auszufüllen. Allerdings bedeutet das nicht, dass man sich dabei selbst verleugnen soll. Vielmehr geht es um das Schärfen des eigenen Profils. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Eigenem und dem, was eine soziale Rolle verlangt. Glauben Redner aber das, was sie sagen, in Gänze selbst nicht – weil es Ihren Einstellungen und Werten komplett entgegensteht –, wird man es ihnen trotz zahlloser Rhetorikseminare nicht abnehmen.
Rhetorik wird beim Agitieren zum Schauspiel
Um wie im Falle des genannten Pressesprechers wirklich glaubwürdig zu erscheinen, müssten (wie bereits von ihm selbst vermutet) sehr starke schauspielerische Fähigkeiten an den Tag gelegt werden. Solche Fähigkeiten verlangen aber neben Talent jahrelange Übung. An dieser Stelle trifft man automatisch auf die entscheidende Frage: Wenn eine grundständige Schauspielausbildung mindestens vier Jahre dauert – und selbst ausgebildete Schauspieler mit viel Berufserfahrung oft an Rollen scheitern –, wie wahrscheinlich ist es, dass man mit antrainierten Schauspieltechniken in der Lebenswirklichkeit reüssiert?
Spätestens hier wird das schwierige Verhältnis zwischen Rhetorik und Schauspiel deutlich: Rhetorik ist zuständig für Redner, die Standpunkte im Rahmen eines demokratischen Wettbewerbs möglichst wirkungsvoll darlegen wollen. Sie ist niemals Steigbügelhalterin für Unwahrheiten, unethisches Verhalten oder als Anleitung zum Sich-selbst-Verbiegen zu verstehen. Daraus folgt: Wer denkt, er müsste interpretieren lernen, weil er permanent Dinge verkünden muss, hinter denen er eigentlich nicht steht – oder weil er agitatorisch Menschen manipulieren will, der benötigt logischerweise Schauspielunterricht. Wer eigenen Standpunkten mehr Gewicht verleihen möchte, der sollte sich mit Rhetorik auseinandersetzen: als Wissenschaft der Beredsamkeit, die gegnerische Standpunkte wertschätzt. Und nicht ausblendet.
Auch Helmut Schmidt sprach schließlich von schauspielerischen Fähigkeiten. Nicht davon, dass Politiker Schauspieler sein müssten. Im Umkehrschluss bedient sich die Rhetorik einiger schauspielerischer Mittel, um soziale Rollen zu professionalisieren. Sie versucht aber nie, mit Schauspiel Standpunkte durchzudrücken. Insofern sollte die Schauspielerei bleiben, was sie ist: Kunst. Niemals aber ein Mittel der demokratischen Debatte.
Sie wollen etwas tiefer einsteigen in das Thema soziale Rollen im Zusammenhang mit Managementrhetorik? Dann sei Ihnen unser Seminar Klare Ansage empfohlen …