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Ironie als rhetorisches Stilmittel, Teil II

Ironie als rhetorisches Stilmittel, Teil II

Rhetorik, Grundlagen
Rhetorik-Grundlagen

Die Ironie als rhetorisches Stilmittel: beliebt, aber auch wirksam? Die Deutsche Rednerschule beleuchtet in diesem Aufsatz die Wesensmerkmale der Ironie. Und setzt sich mit der Frage auseinander, in welchen Kommunikationssituationen der Einsatz von Ironie sinnvoll erscheint. Lesen Sie hier den 2. Teil der Abhandlung …

6 Pathos der Ironie als rhetorisches Stilmittel

Ironie als rhetorisches Stilmittel ist zielgruppenabhängig und erzeugt Ablehnung oder Anerkennung – auf jeden Fall aber Aufmerksamkeit. (vgl. Riemer, 2017, S. 75) Allein dadurch erfüllt die Ironie als rhetorisches Stilmittel den Pathosanspruch des Einbeziehens der Zuhörer. (vgl. Riemer, 2017, S. 73) Da gemeinsames Wissen die Grundvoraussetzung für den Einsatz und das Verstehen von Ironie bildet, ist der Beziehungsaspekt (Pathos) der Ironie sogar existentiell:

„Ziel ironischer Sprachverwendung ist also nicht die Kontroverse (vgl. Kotthoff 1998: 345), sondern die Re-Versicherung von sozialer Gemeinsamkeit. Wichtig ist also bei ironischen Gesprächsverläufen der Beziehungsaspekt.“ (Schubarth, 2001, S. 96) 

6.1 Adressierte und nicht-adressierte Hörer

Hartung unterscheidet Hörer von Ironie in adressierte und nicht-adressierte:

„Da Ironie in manchen Fällen eine ganz konkrete Information mit beschränkter Zugänglichkeit beim Hörer voraussetzt, ist sie deshalb besonders geeignet dazu, die Zuhörer in adressierte und nicht-adressierte Rezipienten zu teilen. Sehr oft jedoch handelt es sich um Wissen von solcher Allgemeinheit, daß ein solcher Ausschluß gar nicht möglich ist.“ (Hartung, 2002, S. 183)

Diese allgemeinen Wissensbereiche können sein: kulturelle Werte (Ereignisse oder Sachverhalte, deren Bewertung in hohem Maß gesellschaftlich vorgegeben ist), Sachkenntnis (Objekte des Alltags, deren Kenntnis zur Alltagskompetenz gehört), gemeinsame Interaktionsgeschichte (gemeinsame Erlebnisse), Personenkenntnis (Vertrautheit mit den Eigenschaften und biographischen Details von Gesprächsteilnehmern), Gruppenwerte/soziale Stereotype (gemeinsame Wertmaßstäbe), Gesprächsverlauf (aktuelles Gespräch) (vgl. Hartung, 2002, S. 151/152) Als Beispiel aus einem allgemeinen Wissensbereich kann „Das ist ja ein tolles Wetter.“ genannt werden als Kommentar für Sturm und Regen – dessen Ironie jeder verstehen wird. Dreht sich Ironie allerdings um Wissen für Eingeweihte (z. B. für Dritte nicht nachvollziehbare gemeinsame Interaktionsgeschichte zweier Gesprächspartner), hebt die ironische Äußerung den Exklusivcharakter des Wissens hervor. (vgl. Hartung, 2002, S. 152) „Daher verwendet ein Sprecher nur dann Ironie, wenn er sich sicher ist, dass der adressierte Hörer mit ihm das notwendige Wissen teilt.“ (Hartung, 2002, S. 150) Hartung geht davon aus, Ironie als rhetorisches Stilmittel sei immer eine Form der Bewertung (vgl. Hartung, 2002, S. 164), und adressierte Hörer könne man auf inhaltlicher Ebene in PRO (Vertreter der Bewertung, inkl. Sprecher) und CONTRA (Gegner der Bewertung) einteilen. (vgl. Hartung, 2002, S. 184) Im Sinne der Präzision sei an dieser Stelle der Vorschlag gemacht, PRO- und CONTRA-Vertreter als wissende Sympathisanten und wissende Opponenten zu benennen:

 

Ironie als rhetorisches Stilmittel – ein Modell
Abb. 1: Ausgehend vom Bühlerschen Kommunikationsmodell sendet der Sender eine ironische Nachricht an adressierte Empfänger, die sich in PRO- und CONTRA-Vertreter eines zu verhandelnden Sachverhalts oder einer zur Diskussion stehenden Meinung unterteilen (für größere Darstellung bitte auf das Bild klicken). (in Anlehnung an Hartung, 2002, S. 184)

 

Folgerichtig können sieben Kommunikationssituationen entstehen, von denen in nur einer Ironie als rhetorisches Stilmittel eingesetzt, verstanden wird und wirken kann. Ironie funktioniert in folgenden Situationen nicht (eigene Reduzierung nach Hartung, 2002, S. 150):

  1. Sprecher (wissend)/Hörer (unwissend)
  2. Sprecher (wissend)/Hörer (wissend – denken aber, Sprecher wäre unwissend)
  3. Sprecher (wissend, aber Ironiesignale nicht eindeutig)/Hörer (wissend – missinterpretieren die Ironiesignale)
  4. Sprecher (wissend, denkt aber Hörer wären unwissend – verzichtet auf Ironie)/Hörer (wissend)
  5. Sprecher (unwissend – verzichtet auf Ironie)/Hörer (wissend)
  6. Sprecher (unwissend – verzichtet auf Ironie)/Hörer (unwissend)
  7. Ironie funktioniert, wenn: Sprecher (wissend: verfügt über eigenes Wissen und Wissen über Wissen der Hörer)/Hörer (wissend: verfügen über eigenes Wissen und Wissen über Wissen des Sprechers und Ironiesignale werden verstanden)

Wie wichtig gemeinsame Wissensstände sind, verdeutlicht folgendes Beispiel: Ein Mann ist mit seiner Frau auf dem Heimweg von einem Abend bei den Schwiegereltern und sagt: „Na, das war ja wieder ein toller Abend!“ Hier kann man davon ausgehen, dass die Frau um die offensichtlich schwierige Beziehung zwischen Ehemann und ihren Eltern weiß und die dem Satz innewohnende Ironie versteht. Wüsste die Ehefrau nicht, wie es um die Beziehung bestellt ist, würde sie den Satz nicht ironisch auffassen: Sie könnte ihn gar als Aufforderung verstehen, die lieben Eltern bald wieder zu besuchen.

6.2 Stärkung des Zusammenhalts und Bestätigung der Sprechermeinung

Herauszustreichen ist der bereits erwähnte Ironieeffekt in Form der Unterstützung des Gruppenzusammenhalts innerhalb der wissenden Sympathisanten. Dazu sagt der Humorforscher Holtbernd:

„Und ich glaube, das ist auch etwas, was mir aufgefallen ist, dass die geistige Elite in Deutschland sich nicht mehr dadurch abgrenzt, dass sie Abitur hat oder dass sie studiert hat oder einen Doktortitel oder habilitiert hat, sondern dass sie Ironie pflegt. Weil, damit kann man sich gegen andere abgrenzen, gegen die Dummheit abgrenzen.“ (Holtbernd, Deutschlandfunk Kultur, 2016)

Und die Süddeutsche Zeitung schreibt über den Moderator und Kabarettisten Harald Schmidt, der als Ironiker gilt, man hätte sich als Schmidt-Fan immer zur Durchblicker-Gilde zählen können, weil er die Codes der Gebildeten bediene. (vgl. Schneeberger, Süddeutsche Zeitung, 2012) Kotthoff untersucht dieses Zusammengehörigkeitsgefühl ebenfalls – auch wenn sie sich allgemein auf Witze bezieht: „Witze, welche Lust auf Identifikation weckten, ernteten das stärkste Gelächter.“ (Kotthoff, 2017, S. 155) Laut Kotthoff ist weiterhin „von einer Milieuspezifik auszugehen, die nicht einfach einem Schichtenmodell entspricht, sondern mit der Kreation von Lebensstilen zu tun hat.“ (Kotthoff, 2017, S. 155) Als Teil des Lebensstils also fungiert Ironie als gruppenzusammenhaltendes Element gegenseitiger Bestätigung oder Rückversicherung unter wissenden Sympathisanten. Über gegenseitige Bestätigungen zwischen Sprecher und wissenden Sympathisanten schreibt auch Schubarth:

„SprecherInnen nehmen einen bestimmten Wirklichkeitsausschnitt wahr und setzen ihn ins Verhältnis zu ihrer mentalen Wirklichkeit. Wenn ein Missverhältnis wahrzunehmen ist, also die Gültigkeit der mentalen Wirklichkeit angesichts des Wahrgenommenen in Frage gestellt werden müsste, gleichzeitig aber die Gültigkeit der mentalen Wirklichkeit von den SprecherInnen als fest gefügt angenommen wird, bietet sich die Möglichkeit der Ironie. Ironische SprecherInnen pochen auf die Gültigkeit ihrer Bewertungen und überzeugen sich mittels Ironie davon, dass sich auch ihre HörerInnen nach wie vor im „mentalen Gleichklang“ des allgemein Anerkannten befinden.“ (Schubarth, 2001, S. 65)

Unter Berücksichtigung der bis hierher gemachten Aussagen könnte Ironie auch als impliziter Appell an das Gruppenzugehörigkeitsgefühl der wissenden Sympathisanten angesehen werden – als Ersatz für explizite Aufrufe, geschlossen hinter einem Sprecher oder einer von ihm vorgetragenen Meinung zu stehen.

6.3 Reduktion von Konfliktpotential

Die Ironie kann aufgrund ihrer Indirektheit auch ein geeignetes Mittel der Konfliktprävention sein: „Im Gegensatz zum Lob ist Kritik gleich welcher Art immer eine Belastung für soziale Beziehungen, so daß die ironische Indirektheit dazu beitragen kann, das Konfliktpotential zu reduzieren.“  (Hartung, 2002, S. 164) Da Kritik nur indirekt geäußert wird, muss der Sprecher den Kritisierten nicht offen ansprechen und der Kritisierte selbst kann im Extremfall so tun, als ob er die Kritik nicht verstanden hätte. (vgl. Hartung, 2002, S. 164/165) Außerdem ermöglicht die Ironie „über die schlimmsten Dinge zu lachen. Für Feinde der Ironie ist das Frevel. Sie möchten, dass man nur das Heitere und Harmlose komisch findet.“ (Kalle, Zeit, 2016)

Das spiegelt sich im Cover des Spiegel vom 21. 03. 2015 wider:

 

Dass Ironie als rhetorisches Stilmittel oft auf Reaktanzen stößt, beweist die Ausgabe des Spiegel vom 21.03.2015.
Abb.: Spiegel-Cover (21.03.2015)

Das Cover zeigt auf ironische Weise, wie nach Meinung des Spiegel Europäer auf Deutschland blicken. Dass hier die Ironie nicht funktionierte, zeigt die massive Kritik, die der Spiegel für das Cover ertragen musste. So schreibt Christian Meier in der Welt, dass „der „Spiegel“ mit seinem Versuch in Selbstironie eher zu verwirren oder gar abzustoßen“ scheint. (Meier, Welt, 2015)

6.4 Ironie zur Erheiterung

Denkt man an Ironie, denkt man dennoch an Erheiterung. Dass diese sich aber nicht zwangsläufig einstellt, zeigt (neben dem Spiegel-Cover) Hartung:

„Gerade im rhetorischen Kontext bestätigt sich, daß die Erheiterung zwar eine wichtige, aber eben nicht die einzige Wirkung von Ironie ist, und daß die zentrale Absicht, die hinter ihrer Verwendung steht, die negative Bewertung des gegnerischen Standpunktes ist. Diese Absicht wird durch eine transparente Verstellung erreicht, und nicht immer ist diese Verstellung dazu geeignet, Heiterkeit zu erregen, also komisch zu sein. Demnach hängt diese Wirkung von der Art der Verstellung ab und ist keine notwendige Eigenschaft der Verstellung. Folglich ist Ironie keine Form von Humor, sondern eine Ausdrucksweise, zu deren Wirkungen Erheiterung zählen kann, aber nicht muß.“ (Hartung, 2002, S. 167)

Dass die demnach oft komische Wirkung der Ironie gleichzeitig ihre Grenzen aufzeigt, macht Schubarth deutlich:

„Leider verhindert aber gerade die komische und unterhaltende Wirkung von Ironie oft eine bewusste Auseinandersetzung mit den Inhalten des Gesagten. Kritisch ist der Einsatz von Ironie insbesondere dann, wenn die erheiternde Wirkung bewusst eingesetzt wird, um den Inhalt des eigenen Sprechens in den Hintergrund zu rücken.“ (Schubarth, 2001, S. 148)

Bleibt also nur die unterhaltende Wirkung der Aussage bei den Hörern haften und nicht der Inhalt, so erfüllt die Ironie ihren Auftrag nur unvollständig. Es tritt jener Effekt ein, der in der Werbepsychologie als Vampireffekt¹ bekannt ist: die unterhaltende Wirkung überlagert den Inhalt, an den sich der Adressat nur wenig später nicht mehr erinnern kann.

 

1) Vampireffekt: „Durch auffällige Gestaltungsmerkmale, wie zum Beispiel Humor oder Erotik, leidet die Aufmerksamkeit gegenüber der eigentlichen Werbebotschaft.“ (ARD Forschungsdienst, 2012, S. 462)

 

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