Ironie als rhetorisches Stilmittel
Die Ironie als rhetorisches Stilmittel: beliebt, aber auch wirksam? Die Deutsche Rednerschule beleuchtet in diesem Aufsatz die Wesensmerkmale der Ironie. Und setzt sich mit der Frage auseinander, in welchen Kommunikationssituationen der Einsatz von Ironie sinnvoll erscheint. Lesen Sie hier den 1. Teil der Abhandlung …
1 Ironie als rhetorisches Stilmittel – beliebt, aber auch wirksam?
Der Ironiebegriff hat seit dem antiken Griechenland einen langen Metamorphoseprozess hinter sich gebracht, um schließlich zu dem zu werden, was wir heute unter ihm verstehen. Wie vielschichtig die Ironie ist und wie vielfältig ihre Definitionen sind, erkennt man daran, wie viele Wissenschaftsdisziplinen sich an ihr abarbeiten: die Philosophie, die Psychologie, die Linguistik oder die Humorwissenschaft. Dass Ironie als rhetorisches Stilmittel oft falsch verstanden wird oder auf Reaktanzen stößt, erleben wir immer wieder. Warum aber ist das so? Zwar kann Ironie eine starke Kraft entfalten: eine Kraft wie kaum ein anderes rhetorisches Stilmittel. Wieso allerdings scheinen immer nur einige diese starke Kraft zu spüren – während andere nicht wissen, was die Ironie sagen will? Dieser Aufsatz setzt sich mit dem Rhetorisch-Sein, der Rhetorizität, der Ironie auseinander: Was ist ihre Intention, was ihre téchne? Erkenntnisse darüber führen automatisch zur Beantwortung der Frage, wann der Einsatz von Ironie als rhetorisches Stilmittel ratsam ist. Aber auch an die Grenzen ihrer Wirksamkeit – und zur Frage, wann Ironie zum Sarkasmus wird.
2 Ironiedefinition gestern und heute
Mit dem Wort εἰρωνεία wurde im griechischen Sprachraum (vor der Zeitenwende) das Sich-selbst-Kleinermachen, um sich einen Vorteil (z. B. in Steuerangelegenheiten) zu verschaffen, bezeichnet. Dabei ging es um eine echte, undurchschaubare Täuschung zum Schaden anderer. (vgl. Hartung, 2002, S. 26) Heute wird der Begriff Ironie derart definiert, dass er ein krasses Auseinanderklaffen von Sprechermeinung und Gesagtem, oft im Sinne des Gegenteils, meint. (vgl. Riemer, 2017, S. 86)
3 Unterschied zwischen Lüge und Ironie
Dabei ist im Gegensatz zur Lüge (in unserem heutigen Sinne eine echte, undurchschaubare Täuschung) die Ironie als solche erkennbar:
„Im Gegensatz zum Lügner intendiert der Ironiker eine transparente Verstellung, die er, wenn nicht schon der situative Kontext auf Ironie schließen lässt, grundsätzlich nur über die sogenannten Ironiesignale wie Gestik, Mimik oder Prosodie¹ erreichen kann.“ (Beyer, 2012, S.23)
Ist Ironie als solche nicht erkennbar, gelingen die Ironiesignale also nicht, misslingt die Sprechhandlung:
„Bei der Lüge gelingt die Sprechhandlung als solche. Wenn mein Gegenüber glaubt, was ich ihm mit der Assertion² a sage, obwohl ich weiß, dass a‘ gilt, habe ich erfolgreich gelogen. Wenn mein Gegenüber meine ironische Sprechhandlung b als die von mir gemeinte ansieht, ist die Äußerung missglückt, denn ich wollte ja, dass b‘ durch b klar erkennbar ist. Der ironische Effekt wurde nicht erzielt.“ (Schubarth, 2001, S.87)
Was ist aber außer Ironiesignalen nötig, um Ironie zu erkennen?
4 Kern der Ironie: gemeinsames Wissen
Der Wesenskern der Ironie besteht darin, „dass der Redner auf ein Mitwissen des Hörers hinsichtlich des wirklich Gemeinten abzielt.“ (Riemer, 2017, S. 86) Dabei ist es wichtig, dass Sprecher und Hörer sich über die Gemeinsamkeit des Wissensstandes bewusst sind. Hartung führt dazu aus,
„daß die essentielle Voraussetzung ironischer Kommunikation nicht darin liegt, daß der Rezipient über ein bestimmtes Wissen verfügt, auf das eine ironische Äußerung indirekt anspielt, sondern daß er sich über die Gemeinsamkeit dieser Wissensbestände mit dem Sprecher im Klaren ist, so daß er die Intentionalität der Unangemessenheit erkennen kann.“ (Hartung, 2002, S. 158)
Nur durch das Wissen über den gemeinsamen Wissensstand kann also die Ironieintentionalität erkennbar werden, denn: „Intentionalität beginnt auf Sprecher-, wie auf Hörerseite, wenn das „WOZU“ subjektiv bewusst wird.“ (Kröninger, 2017, S. 37) Gemeinsame Wissensstände sind demnach Grundvoraussetzung für den gelungenen Einsatz von Ironie. Kapitel 6 wird auf diese Thematik näher eingehen.
5 Kürze und Prägnanz durch Ironie
Neben dem gemeinsamen Wissen wohnt der Ironie ein weiteres wichtiges Merkmal inne: Sie reduziert und bringt Sachen auf den Punkt. Als Beispiel sei der Kabarettist Dieter Hildebrandt zitiert: „Bildung kommt von Bildschirm. Wenn es von Buch käme, hieße es Buchung.“ (Hildebrandt, Braunschweiger Zeitung, 2009) In erster Linie kritisiert Hildebrandt, dass Menschen vor dem Fernseher sitzen, um sich zu bilden – anstatt Bücher zu lesen. Das Beispiel zeigt: Ironie fordert von demjenigen, der sie einsetzt, Sachverhalte vorher zu durchdenken. Oder wie Schneeberger in der Süddeutschen Zeitung schreibt:
„Um Dinge in ihr Gegenteil zu verkehren, muss man sie erst mal verstanden haben. Die Ironie und das strikte Durchhalten einer ironischen Haltung befördern das Durchdringen komplexer Sachverhalte, weil sie immer fordern, dass man sie komplett durchdenkt. Nur mal kurz anklicken, das geht nicht.“ (Schneeberger, Süddeutsche Zeitung, 2012)
Wie schwierig es ist, Sachen auf den Punkt zu bringen, zeigt folgender Satz, der Johann Wolfgang von Goethe zugeschrieben wird: „Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich keine Zeit habe, einen kurzen zu schreiben.“ Der Vorteil der Schriftsprache liegt darin, dass sie für Leser wiederholbar ist. Im Gegensatz zur gesprochenen Sprache: Kaum ausgesprochen, ist Gesagtes auch schon verklungen. Daher ist es besonders bei der gesprochenen Sprache wichtig, etwas kurz und präzise zu formulieren – im Sinne der Unterstützung des Erinnerungsvermögens der Zuhörer. Dinge präzise darzustellen ist auch deshalb so wichtig, weil die Rede nicht die exakte Realität oder Wahrheit abbilden, sondern nur für Wahrscheinlichkeiten plädieren kann. (vgl. Riemer, 2017, S. 124) Nur aber das Durchdenken einer Sache ermöglicht Präzision und Kürze. Lüthy führt dazu aus:
„Die antike Rhetorik unterschied Wahrheit und Wahrscheinlichkeit folgendermaßen: Wahrscheinlichkeit wird nicht durch die vollständige Wiedergabe all dessen, was ist, erreicht; das wäre das positivistische Ideal der Wahrheit. Vielmehr wird sie durch eine raffende und akzentuierende Gestaltung erzielt, die auch die beiden anderen Tugenden, die Kürze und die Klarheit, in ihr Recht setzt.“ (Lüthy, 1997, S. 85)
1) Prosodie: „Gesamtheit sprachlicher Eigenschaften wie Akzent, Intonation, Quantität, Sprechpausen.“ (Bußmann, 1990, zitiert nach Wollermann, 2012, S. 15)
2) Assertion: „Der Sachverhalt, der – auf der Grundlage des Kontextes – behauptet wird.“ (Pinkal, 2007, S.8)
Lesen Sie hier den zweiten Teil der Abhandlung über Ironie als rhetorisches Stilmittel …
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