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Rhetorik und Überredung

Rhetorik und Überredung

Rhetorik und Ethik, Berliner Mauer
Rhetorik und Ethik

Ist Rhetorik und Überredung dasselbe? Überredung ist auf jeden Fall ein Begriff, der gern in einem Atemzug mit Rhetorik genannt wird. Während Manipulation in sich bereits als ethisch verwerflich definiert ist, fußt die Überredung nicht zwangsläufig auf niederen Beweggründen. Sie ist trotzdem unbedingt kritisch zu sehen, weil sie versucht, mit starker Beziehungsebenen-Ausrichtung den Zuhörer zu Handlungen oder Meinungswechseln zu drängen.

Unterschiede zwischen Rhetorik und Überredung

Mit großzügigem Verzicht auf Objektivität und Fakten zielt Überredung auf die Gefühle des Zuhörers ab und bedient sich in starkem Maße:

  • der Autorität des Sprechers („Ich Chef, du nix.“)
  • Suggestivfragen („Wolltest Du nicht auch schon immer Chef werden?“)
  • dem Wissensvorsprung des Sprechers, der Wissen in seinem Sinne
    unter Verschluss hält („Gut, dass nicht jeder Chef werden kann.“)
  • Gruppenzugehörigkeiten/-ausgrenzungen und sozialen Drucks („Jeder, der nicht Chef werden möchte, ist ein Depp.“)
  • der Kommunikation von Zeitdruck („Du bist schon 35 – höchste Zeit, Chef zu werden.“)
  • dem Umdefinieren von Gegenargumenten in persönliche Schwächen („Kein Geld? Dann hättest du eben schon früher Chef werden müssen.“)
  • dem sogenannten Positiven Denken, das ausschließlich persönliches Wollen und Leistungsbereitschaft kennt – aber keine Leistungsgrenzen,
    sozialen Einflüsse oder Handicaps („Selber schuld, wenn Du noch
    immer nicht Chef bist. Denk doch einfach mal positiv.“)

Kommt Ihnen diese Litanei bekannt vor (Sie können das Wort Chef auch durch „Erfolg haben“ ersetzen)? Sie wird einem pausenlos vorgebetet: im Berufsleben, in Ratgeberliteratur, im Rahmen von Fortbildungen, in Beratungsgesprächen, im Boulevard-TV, von Bloggern und Motivationstrainern, bei DSDS, GNTM – UWDFWN (und weiß der Fuchs, wo noch). Ist das Wort postfaktisch unter Umständen nichts anderes als der deutliche Hinweis eines Wechsels von der Informations- hin zur Überredungsgesellschaft? Schließlich ist die Überredung viel passender als Meinungsaustausch. Weil zeitsparend. Zeit sparend, die wir vor lauter Ratgebern, Medien, Informationen, Web-Freunden und Likes-Erhaschen kaum noch haben …

 

Die Debatte lebt von der freien Rede und rhetorischen Bildern. Rhetorik und Überredung passen nicht zusammen.
Abb.: Rhetorik und Überredung passen nicht zusammen. Ziehen Sie Ihr Publikum in den Bann. Und vermeiden Sie platte Überredungslitaneien.

Persuasion: der bessere Weg

Dabei ist einem erreichten Meinungswechsel aufgrund von Überredung in etwa über den Weg zu trauen wie einem „Kein Problem“ eines Telekom-Technikers. Schnell kann sich die Meinung eines Überredeten wieder umkehren. Zwar ist dann das Abo abgeschlossen, ein Vertrag unterzeichnet, der Urlaub mit guten Freunden gebucht. Kurz: der Satz in die Nesseln gemacht. Frust und Ärger allerdings währen noch ein Weilchen und können sich leicht auf nachfolgende, ähnliche Begebenheiten übertragen. Eine Binsenweisheit, die jeder Rhetorik- und Vertriebstrainer kennt. Aber von vielen im Sinne kurzfristiger Erträge als unnützes Gutmenschen-Gefasel abgetan wird. Wo liegt nun der konkrete Unterschied zwischen Rhetorik und Überredung?

Überzeugung – oder Persuasion – stellt die Botschaft nach und nach in den Vordergrund und versteckt sie gerade nicht hinter Autoritäten oder Gruppenzwang. Überzeugen kann nur, wer selbst überzeugt ist. Überzeugen ist, wenn man eine subjektive Gewissheit zwar versucht zu einer objektiven Wahrheit zu machen – dabei aber im Dialog mit Gegenargumenten bleibt und diese nicht zu einem Großteil oder gar komplett ausblendet. Überzeugen dauert länger als das Überreden: Denn beide Seiten zeugen zusammen einen neuen Gedanken. Die Überzeugten stehen hinterher umso fester hinter diesem Überzeugungsprodukt.

In ihrem zum deutschen Standardwerk gewordenen „Grundriss der Rhetorik“ unterstreichen Gert Ueding und Bernd Steinbrink daher konsequenterweise die Notwendigkeit der Toleranz der Redner einander gegenüber, denn „sie sind sowohl Teil wie Ausdruck eines Prozesses, der mit ihnen entschieden wird, und so wenig der „Sieger“ die ganze Wahrheit für sich reklamieren kann, so wenig fällt dem „Verlierer“ die Last der ganzen Unwahrheit zu.“ Eine solche Haltung trennt einen Redner, der sich in einem demokratischen rhetorischen Wettbewerb sieht, von platter Überredung, die sich sehr schnell in Manipulation und Demagogie verwandeln kann. Denn die Grenzen sind fließend. Jeder Redner und Redenschreiber sollte das beherzigen – auch wenn es in politischen Talkshows anscheinend nur noch um das rhetorische Gewinnen und Verlieren geht, auch wenn es im Bundestag Sitte ist, Rednern offensiv die Aufmerksamkeit und damit den Respekt vor anderen Meinungen zu verweigern.