Rhetorik lernen – Rhetorik verstehen
Rhetorik lernen – heißt in erster Linie zu lernen, was Rhetorik leisten kann und was nicht. Vieles was mit Rhetorik in Verbindung gebracht wird, mutierte in der Vergangenheit zu vermeintlichen Binsenweisheiten. Zu Smalltalk-Themen, denen jeder zustimmen kann: weil allgemein akzeptiert. Weil mittlerweile nicht mehr hinterfragt. Und als gegeben hingenommen. Fatal: Viele Plattitüden, die sich um Kommunikation, um rhetorische Kommunikation ranken, entbehren jeglicher Grundlage.
Rhetorik lernen heißt also: auch fachliche Missverständnisse oder Fehlinformationen zu erkennen. Damit man eigene rhetorische Fähigkeiten tatsächlich verbessern kann. Nachfolgend beleuchten wir zwei grundlegende Missverständnisse – rhetorische Mythen –, die jeder beachten sollte, der Rhetorik ernsthaft lernen möchte. Und zwar nicht nur im Sinne managementesoterischer Seminare.
Rhetorik lernen: 7-38-55-Regel als Mythos entlarven
Sie wollen Rhetorik lernen? Dann haben Sie mit Sicherheit schon einmal von der berühmten 7-38-55-Regel gehört. Sie ist ein herausragendes Beispiel, wie Nonsens zum Smalltalk-Standardthema und psychologischen Pseudowissen wird. Vermeintlich besagt sie, dass Kommunikation nur 7 Prozent vom Inhalt bestimmt, aber zu 38 Prozent von der Wirkung der Stimme und zu 55 Prozent von der Körpersprache dominiert würde. Diese absurde Formel wird bis heute in Rhetorik-Seminaren gelehrt. Sie ist ein Symbol dafür, wie Interessierten, die Rhetorik lernen wollen, mit Inhaltsleere das Geld aus der Tasche gezogen wird. Denn die Aussage wurde vom US-amerikanischen Psychologen Albert Mehrabian (* 1939), auf den die Formel als Zusammenfassung zweier Versuchsreihen von 1967 zurückgeht, so nie getroffen. Rhetorik lernen bedeutet zu wissen: Im Rahmen der Versuchsreihen untersuchte Mehrabian, inwieweit die Wahrnehmung beziehungsweise die Wirkung (positiv/negativ) von einzelnen Worten bei Zuhörern durch Mimik und Stimme beeinflusst wird. Insbesondere wenn Mimik und Stimme etwas anderes als das gesprochene Wort ausdrücken (zum Beispiel das Wort love mit negativem Unterton). Als Ergebnis kam heraus, dass sich die Versuchspersonen in Fällen der Inkongruenz stark an der Mimik und dem Tonfall des Sprechers orientierten. Und nicht am Sinn des Wortes selbst (stimmliche Elemente beeinflussten die Wahrnehmung 5,4fach stärker als der Inhalt der Wörter). Aber: Das Gesamtwirkungsgefüge von Stimme, Mimik, Körpersprache in komplexen Interaktionen wurde nie untersucht. Zudem betont Mehrabian bis heute, dass die Ergebnisse in Laborsituationen erzeugt worden und somit nur Näherungen seien. Eines hingegen zeigen die Versuchsreihen tatsächlich: Dass Zuhörer stark auf die Übereinstimmung von gesprochenem Inhalt, Stimme und Mimik achten. Und in Fällen der Inkongruenz eher nonverbalen Signalen eines Sprechers vertrauen als von ihm ausgesendeten Wortinhalten. Rhetorik lernen bedeutet im Umkehrschluss: Auf die Kongruenz verbaler und nonverbaler Kommunikation zu achten. Nicht aber selbst zum Schauspieler zu werden, weil das gesprochene Wort angeblich kaum wahrgenommen wird. Genau dies aber wird viel zu oft Rhetorik Lernenden nahegelegt. Dabei entsteht Unglaubwürdigkeit durch eher kleine Dinge: Verhaltensmuster, die relativ leicht – und mit ein wenig Übung – in den Griff zu bekommen sind.
Rhetorik ist kein Schauspielunterricht
Durch Abertausende Seminarteilnehmer, die in der Deutschen Rednerschule Rhetorik gelernt haben, ist bestätigt: Vor allem ein Weglaufen der Augen sowie ruckartige, aus Gründen der Verlegenheit resultierende Bewegungen von Rednern sind die größten Probleme, die im Zusammenhang mit innerer Unruhe zu beobachten sind. Sie führen tatsächlich zu einem unstimmigen Gesamtbild, das die Wahrnehmung von Zuhörern irritiert. Inkongruente, unkoordinierte Bewegungen – aber auch Starrheit des Gesichts – sind nicht nur Ausdruck von Lampenfieber. Sondern auch die Konsequenz eines hohen Konzentrationsgrads auf Inhalte. Darunter leidet die Natürlichkeit des Sprechers, was das Publikum (oder der Gesprächspartner) als Erschrocken- oder Unsicherheit konstatiert. Unkoordinierte und unbewusste Bewegungsabläufe können in extremen Fällen zu einer unbeholfenen und schüchternen Wirkung beitragen, was einem soliden und souveränen Auftritt diametral entgegensteht.
Wollen Sie Rhetorik lernen, wollen Sie rhetorisch fitter werden, versuchen Sie deshalb, Ihren Vortrag oder Ihre Rede so einfach wie möglich zu gestalten. Denn allein das Reden vor Publikum oder Kamera ist und bleibt eine mentale Ausnahmesituation. Wollen Sie zusätzlich sehr komplexe Inhalte sowie endlose Reihen an Zahlen, Daten und Fakten referieren, steigt automatisch die potenzielle Fehlerquote, steigt die Gefahr, von Fehlern aus der Bahn getragen zu werden. Bedenken Sie: Antworten im Rahmen eines Interviews, Diskussionsbeiträge – selbst stundenlange Reden – sind niemals vollständig. Sie können immer nur das Wichtigste herausarbeiten. Und sich darauf konzentrieren, etwas beim Publikum, bei Kontrahenten oder Journalisten zu bewirken. Ein Statement, ein Diskussionsbeitrag, eine Rede ist kein Handout, kein Gutachten, kein Buch, keine Dissertation. Zu hohe Sachlichkeit verhindert sichtbare Lebendigkeit und Natürlichkeit. Rhetorik lernen, heißt also sich das Leben zu vereinfachen. Und nicht unnötig durch schauspielerische Techniken zu verkomplizieren.
Rhetorik lernen: Links- und rechtshemisphärisches Denken als Mythos entlarven
Dreh- und Angelpunkt erfolgreicher Informationsübermittlungen und des Überzeugens ist die Erkenntnis, dass Menschen ganzheitlich Denken: einerseits abstrakt logisch – andererseits assoziativ konkret. Diese Erkenntnis müssen alle, die Rhetorik lernen wollen, berücksichtigen: um sich von anderen Kommunikatoren abzuheben und um mithilfe einer plastischen, anschaulichen Sprache beim Publikum in Erinnerung zu bleiben. Das klassische Modell der Arbeitsweise des Gehirns, seiner Verarbeitung von Informationen und wie es Dinge wahrnimmt, geht von einer starken Arbeitstrennung aus: Während die linke Gehirnhälfte für die Logik – ist die rechte für das Emotionale zuständig. Das Modell war in der Vergangenheit mit für die Festigung konventioneller Geschlechterbilder verantwortlich: Leichtfertig verkürzt wird bis heute in Rhetorikseminaren darauf verwiesen, Frauen wären eher rechtshemisphärisch, Männer eher linkshemisphärisch orientiert – generell gäbe es bei Menschen starke Varianzen hinsichtlich ihrer Persönlichkeiten als Ergebnis eines unterschiedlich gewichteten Einflusses beider Hirnregionen. Infolge solcher Überzeugungen kam es in den Achtziger- und Neunzigerjahren in Mode, Marketingzielgruppen oder Unternehmensangehörige danach zu typologisieren, wie stark deren (auch aufgrund soziodemografischer Daten angenommene) Ratio oder emotionale Seite ausgeprägt ist. Hinzu kam eine auf dieser Grundidee fußende Fülle von managementesoterischen Eignungs- und Typentests, die Menschen farblich stigmatisieren – und in verschiedene emotionale oder rationale Klischeeschubladen pressen.
Wollen Sie Rhetorik lernen und verstehen, sollten Sie berücksichtigen: All das läuft, neueren Ergebnissen der Hirnforschung und Sozialpsychologie zufolge, ins Leere. Sie zeigen, dass beide Hirnhälften funktional sehr stark miteinander verwoben sind – und Menschen in viel größerem Maße rechtshemisphärisch denken als noch vor zwanzig Jahren angenommen. Zuhörer erwarten demzufolge während einer Rede zwar Fakten. Mehr oder weniger bewusst aber auch Originalität, Subjektivität und Kreativität bei der Informationsbewertung. Jeder Vortrag muss das menschliche Verlangen nach Bildhaftem, Kreativem, Emotionalem genauso ansprechen wie logisches, analytisches Denken. Vor allem wenn Sie eigene Interessen durchsetzen und überzeugen wollen, betrachten sie Ihr Publikum, Ihr Gegenüber auch – aber nicht nur als Vernunftwesen.
Sie wollen Rhetorik lernen? Meiden Sie Bauernfänger.
Sie wollen Rhetorik lernen? Im Angebotswust des Internets erkennen Sie Bauernfänger unter anderem daran, dass sie das Schauspiel und Schauspieltechniken in den Vordergrund stellen. Und diese mit der 7-38-55-Regel begründen. Oder aber mit anderen überkommenen/falschen Modellen (z.B. links- und rechtshemisphärisches Denken) argumentieren. Wollen Sie tiefer in das Thema Managementesoterik (Eignungsdiagnostiken, NLP, Positives Denken) einsteigen und weitere Business-Mythen hinterfragen? Dann empfehlen wir das Buch „Schwarzbuch Personalentwicklung. Spinner in Nadelstreifen“ von Viktor Lau.